Mental Health - ein Tabuthema in deutschen Kanzleien
Corona hat die Welt erschüttert hat. Viele mussten ihr Leben neu überdenken. Viele haben es gut überstanden und es ist unmöglich festzustellen, wie viele genau es nicht geschafft haben.
Anwält:innen stellen nur einen kleinen Teil der Menschen, die an Mental-Health-Problemen leiden. Allerdings gehören diese gleichzeig zu der Kategorie der Berufsträger, wo Themen wie Burn-out immer noch als Tabu betrachtet werden. Dafür gibt es viele Gründe. Bevor wir aber dazu kommen, lasst uns eine paar Fakten ansehen.
Gemäß dem TK-Gesundheitsreport 2022 ist zwar im Jahr 2021 im Vergleich zu 2020 der Anteil der von mindestens einer Krankschreibung betroffenen Erwerbspersonen von 44,5% auf 42,3% gesunken[1]. Gleichzeitig ist die Anzahl der Anfragen bei psychotherapeutischen Praxen im Jahr 2021 um 40% gestiegen[2]. Einerseits sind es schockierende Zahlen. 40% der Bevölkerung spürt den Bedarf an psychotherapeutischen Unterstützung. Andererseits sind es auch ermutigende Zahlen, denn es bedeutet, dass die Menschen sich bewusster geworden sind, mutiger und bereiter die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. An der Stelle bleibt zwar unklar, wie hoch der Anteil derer ist, die aus der Rechtsberatungsbranche kommen. Trotzdem ist es mit Blick auf die Gesamtbevölkerung nicht wenig. Die letzten Untersuchungen zeigen, dass 70% der Anwälte zugegeben haben, beruflich bedingte psychische Probleme bereits gehabt zu haben. Die Zahlen sprechen für sich. Schauen wir trotzdem auf weitere Gründe, warum wir die Mental Health-Thematik nicht länger in der Business-Welt ignorieren sollten.
- Zeit und Geld
Eins der kostbarsten Güter, die wir haben, ist die Zeit. Einerseits ist es Lebenszeit, denn niemand weiß genau, wie viel jeder einzelne von uns davon zur Verfügung hat. Andererseits ist es Zeit, die im Business als Skalierungsmenge genommen ist. Jeder taxiert für sich, was seine Zeit kostet bzw. wie viel man bereit ist für die Arbeit pro Stunde zu bezahlen. Als Partner in einer Großkanzlei kann man 500 Euro pro Stunde (oder sogar mehr) beim Mandanten abrechnen. Steigt ein Mitarbeiter aufgrund von Mental- Health-Problemen aus, wäre es möglich, solchen Ersatzbedarf auch im finanziellen Äquivalent auszurechnen, und zwar für jeden Mitarbeiter, also nicht nur bei den Partnern. Aber wie könnte man diese mit Zeit umrechnen? In der Legal Branche dauern die Bewerbungsprozesse normalerweise ca. 3-6 Monate oder länger. Fällt jemand aus gesundheitlichen Gründen aus, kommt es nicht sofort zu einer Kündigung, die Arbeit muss aber trotzdem getan werden. Dieses bedeutet, die Beeinträchtigung der Zeit von anderen Kollegen und womöglich auch eine Verzögerung bei Fristsachen. Außerdem werden die Menschen erstmals krankgeschrieben, was andersrum auch Ausfallzeiten von ein paar Wochen bis zu ein paar Monaten bedeutet. Insgesamt wird sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Können wir uns diese Zeit leisten?
- Diversity
Diversity ist ein Wert, für den heute jeder in der Businesswelt kämpft. Niemand möchte mehr Group Thinking haben, alle wollen so divers wie möglich sein. Ich finde diese Tendenz ist sehr positiv. Es freut mich immer und wieder zu lesen, wie viele Fortschritte die Kanzleien gemacht haben und machen, um Diversität zu unterstützen und um sich in diesem Bereich zu verbessern. Aber es gibt immer Luft nach oben, oder? Menschen, die unter Mental Health Themen leiden, sind ebenfalls sehr wertvoll. Wir rechnen diese Menschen nicht zu Diversity, weil wir darüber nicht sprechen. Oder am besten sogar das Thema generell ignorieren. Stattdessen sollen wir uns zwei Fragen stellen: was können wir intern tun, um Mental Health Probleme bei unseren Mitarbeitern zu vermeiden und was können wir tun, um denjenigen, die zurück ins Berufsleben einsteigen wollen, genug Unterstützung und Möglichkeiten dafür zu geben. Andrew J. Imparato, der ein Anwalt der verstärkt Rechte von behinderten Menschen verteidigt hat, sagte noch vor fast 30 Jahren:
"Mental illness, like other potentially disabling conditions, is a natural part of the human experience, and a part of human diversity."[3]
- Mindset und Generationswechsel
Generationen wechseln. Ich erlebe immer wieder bei meinen Coachingkunden die Aussage: „Geld ist mir nicht so relevant, lieber lebe ich mein Leben, komme früher nach Hause, verdiene weniger Geld, aber wenigstens habe ich das Leben“.
Die Kanzleien sind nicht die einzigen, die im „War for Talents“ kämpfen. Diese Tendenz betrifft alle Branchen. Viele Kanzleien haben in ihrem Angebot für Arbeitnehmer Rabatte für Fitness Studios, Yogastunden, Obst und Gemüse in der Küche integriert.
Aber was genau bieten sie in der Praxis? Wie viele ihrer Mitarbeiter nehmen diese Angebote wahr und nutzen diese auch regelmäßig?
Neue Generationen wollen mehr Verantwortung tragen, mehr Unterstützung bekommen, sich wertvoller bei der Arbeit fühlen sowie mehr leben.
Meine Bitte an Sie:
Ent-tabuisieren Sie das Thema Mental Health, reorganisieren Ihre Mentoringprogramme, erweitern Sie die Angebote für Mental Health Themen, machen Sie mehr Schulungen, leisten Sie mehr Prävention. Gemeinsam können wir die Zeiten ändern.
Wir leben in Zeiten der Veränderungen. Die Gesundheut am Arbeitsplatz zu unterstützen, sollte die erste Priorität sein.
Yaryna Oleshchuk
HR Master, Juristin (UA), Legal Coach
Sie wollen sich mehr mit dem Thema "Mental Health" beschäftigen?
Ich lade Sie herzlich zu den Mental Health Days bei CLP ein!
[1] Vgl. Gesundheitsreport. Arbeitsunfähigkeiten [2022], S. 10. Veröffentlicht im Internet, URL: TK-Gesundheitsreport 2022 - Arbeitsunfähigkeiten (Zugriff: 01.07.2022).
[2]Vgl. Czaplicki/Reich/Hegerl [2022], Veröffentlicht im Internet, URL: Frontiers | Lockdown Measures Against the Spread of the COVID-19 Pandemic: Negative Effects for People Living With Depression (frontiersin.org) (Zugriff: 05.07.2022).
[3] Vgl. A. J. Imparato [2005], Veröffentlicht im Internet, URL: https://mcca.com/mcca-article/addressing-mental-illness-in-the-legal-workplace/ (Zugriff 18.10.2022).