Clubhouse: Der neue heiße Scheiß in der social media Welt?
Die Sehnsucht nach Austausch, nach Miteinander, nach Party ist im Januar nach Wochen anstrengender familiärer Völlerei und halb-gezwungener Silvesterlaune ansonsten wohl eher so semi-gedämpft:
In diesem Januar ist alles anders.
Das neue Jahr ist gefühlt mit angezogener Handbremse gestartet: der x.te Lockdown isoliert uns in den eigenen vier Wänden und läßt die Rückkehr in den gewohnt beigen Büroalltag nicht zu. Und:
CLUBHOUSE is in the house.
Der Virus "Clubhouse", der quasi zeitgleich mit der Corona Pandemie im letzten Frühjahr direkt aus dem Silicon Valley kam, war Frage und Antwort zugleich:
Die Frage: Braucht es wirklich nach Facebook, Instagram und TikTok und den vielen anderen noch ein weiteres Soziales Netzwerk?
Die Antwort: JA.
Mit dem Dezember Lockdown hatten offenbar viele sehr viel Zeit, online durch die bunte social media Welt zu streifen - Reisen ging ja nicht - und schwupps: Seit Januar 2021 ist Clubhouse nun in Deutschland. Seit einigen Stunden auch in der Schweiz und Österreich. In Nord- und Südamerika und Afrika scheint es zumindest in Teilen etabliert und abgeebbt, in Asien eher nicht vorhanden.
Ein sogenanntes Icon oder "richtiges Logo" hat Clubhouse übrigens nicht. Nach einem groovenden Spotify Hörer mit Gitarre in retro schwarz-weiß ziert jetzt ein keck dreinschauender Hippster mit Schirmmütze im ebensolchen Look das Faficon.
Doch ist Clubhouse wirklich ein weiteres soziales Netzwerk?
Der Versuch einer Beschreibung:
Tatsächlich ist es nichts anderes als "The Hype House", eine luxeriöse Villa, in welcher TikTok Stars für mehrere Wochen zusammen mit "BigBrother" lebten, um ihre jeweiligen ...K Follower zu multiplizieren. Nur online...
Es erinnert auch einerseits an Podcasts, die mit den Lockdowns mit ihren Hörern durch die Decke gingen, andereseits auch wieder nicht, weil auf Clubhouse alles Life und Interaktiv ist und nicht Konserve wie bei den Podcasts. Dann doch eher an 24/7 Zoom Konferenzen, in denen sich jeder Teilnehmer mit einem Standbild ausgeblendet hat, zu schwach ist zum abschalten, aber immerhin nebenbei das Katzenklo säubert. In jedem Fall ist es mit seinen Privaträumen mindestens so nah am wirklichen Leben wie WhatsApp, Telegram, Threema und Co oder auch jede Datingplattform (wie Tinder, Parship und co).
Oder ist es einfach eine 365 Tage dauernde internationale online Konferenz, auf denen Yoga Gurus, Business Angels, Top Speaker, Prediger, Politiker, Journalisten, Promis, Experten und Künstler abfeiern? Wer eben noch auf der online Bühne war, ist jetzt Zuhörer, wer sich gerade spontan im Lidl reingeschaltet hat, ist plötzlich "life on stage". Influencer mit xK Followern auf TikTok, Instagram und Co fangen ihre 1 minute Vorstellung an mit "Ich bin hier erst seit gestern und finde mich noch nicht so zurecht. Aber liebe Grüße an meine 12 Follower..." Das macht Clubhouse charmant und authentisch.
Denn Clubhouse ist exklusiv.
Marketingstrategen nennen es "Künstliche Verknappung". Psychologen nennen es auf Nutzerseite "FoMO" (The fear of missing out - die Angst, eine soziale Interaktion zu verpassen und dann nicht mehr dabei zu sein).
Tatsächlich ist Clubhouse
- nur für iPhone Nutzer nutzbar und zwar nur dann, wenn
- sie eine direkte Einladung eines privaten Kontaktes per SMS erhalten, der DRIN ist
Fun Fact: Man hat nur 2 "Invites" zu vergeben, wenn man DRIN ist (später immer mal wieder noch 2-3).
Man überlegt sich also gut, wen man von seinen Kontakten einlädt. Clubhouse hilft bei der eigenen Entscheidung, indem es gleich mal die eigenen Kontakte nicht alphabetisch, sondern danach sortiert, wieviele Kontakte diese in Clubhouse schon potentiell hätten - denn ein Kontakt ist nur soviel wert, wie er weitere Kontakte bringt. Die graue Networking-Maus oder die Mama, die zudem noch Hemmungen haben, die rare Invite zu aktivieren, sind da vielleicht nicht die allererste Wahl.
Die Exklusivität kann am Anfang dazu führen, dass ein Hauch menschicher Wärme durch das Clubhouse weht - immerhin kennt hier irgendwie jeder jeden aus der offline-Welt.
Vielleicht ist es aber auch nicht mehr und nicht weniger als ein weiterer genialer Schachzug aus dem Apple-Universum: ein "Exklusives Netzwerk" für exklusive Kunden als neuestes Feature für die nächste iPhone Generation - man weiß es nicht.
Weiterer Fun Fact: Man munkelt bereits, dass "MoF´s" (Menschen ohne Freunde) die raren "Invites" auf ebay ersteigern können.
UND: Desto mehr man in Clubhouse aktiv ist, desto mehr kann man einladen.
Das ist dann wieder wie im richtigen Leben.
Und ja, es funktioniert wie im richtigen Leben: Zusammen kann man eben immer noch am Besten einsam sein.
Den Tag startet man mit dem Austausch von Stille und spirituellen Gedanken beim gemeinsamen Morgen-Kaffee und den am Klavier life gebotenen letzten Songideen der Nacht. Wer sonst seine Tasse Kaffee damit verbracht hat, sich über die Nachbarn aufzuregen, mit einem gesprächsfaulen Morgenmuffel Löcher in die Luft zu starren oder einen Schwall Börsenkauderwelsch über sich ergehen lassen mußte, kommt hier voll auf seine Kosten und startet von nun an mit einem Lächeln in den Tag. Nach der Dusche spult man sich dann durch die Zeitmanagement- und Planungsmeetings. Nimmt am Spätvormittag schon den einen oder anderen Experten-Input mit, trifft sich mittags im Regierungsviertel mit Politikern im Austausch zu den Corona-Maßnahmen, netzwerkt dann im Spätlunch mit einer Gruppe aus Startups und Business Angels, informiert sich über die bessere Nutzung von Clubhouse, bringt sich in eine Elterngruppe zu Homeschooling ein und springt dann noch zwischen "WineTasting" und "Wine und Talk" hin und her - nach diversen anderen alkoholischen Gesprächsrunden heißt es dann direkt abtauchen nach Übersee und das Ganze startet von vorn...
Jeder kann soviele Events und Talks einstellen wie er möchte. Die Themenwahl ist absolut offen. Es gibt nur wenige Community Rules - vieles bleibt vage. Kein Wunder, dass auch immer wieder sehr einseitige Meinungen bis hin zu Hass und Hetze auf die Bühne kommen. Dass nichts aufgenommen wird und alles ohne Video relativ anonym ist, macht mutig - das gesprochene Wort ist flüchtig und was ich heute hier sage kann ich morgen dort verteufeln. Diversity hilft, kann aber nicht alles regeln. Immerhin verlangt Clubhouse an der Eingangstür den bürgerlichen Namen - ob und wie geprüft und gestraft wird - Who knows.
"The German Clubs" sind auch gespächskulturell gefühlt etwas steifer - pendeln sich jedoch langsam auf lockerem Startup-Hippster Niveau ein.
Clubhouse ist also da: Muss man da jetzt auch noch rein? Und wenn JA - wozu?
Wer sich isoliert fühlt, wer Austausch mit Leuten in ähnlicher Situation braucht - vom Studenten bis zum Unternehmenseigner, wer gern "quatscht" wie ihm der Schnabel gewachsen ist und eher der AUDIO Typ ist - für den ist Clubhouse vor allem im Lockdown eine absolute Bereicherung.
Sich nicht mit geschönten Bildern und Expertise in Szene setzen zu müssen im Zweifel mit bezahlter Expertenhilfe - wie auf Insta, LinkedIn und Co - entspannt total. Das ist erfrischend und trifft den Lockdown Spirit. Viva la Jogginghose und Strubbelhaar!
Erfrischend, dass Top-Speaker und Autoren, Minister und Celebrities mit im Boot sitzen. Mit Herrn Böhmermann, Herrn Thelen und Frau Bär gab es denn auch schon illustre Runden. Legendär der gestrige freitags-Talk mit ca. 5.000 Teilnhemern (in DEUTSCH!) mit Herrn Thelen zu der Frage, ob Clubhouse überlebt.
Herr Thelen sagt nein, weil mit der Strategie der Verknappung die Reichweite für z.B. Dieter Bohlen zu klein wäre - räumt aber ein, dass er auch TikTok fälschlicherweise für wenig erfolgversprechend hielt. Dass Herr Thelen hier nicht in seinem Revier ist wird klar, als er Clubhouse als "Radio" bezeichnet und es mehr als drei Sätze braucht, bis der Clubhouse Moderator von Gen Z versteht, dass Herr Tehlen mit "Radio" Audio meint.
Tatsächlich hat Clubhouse spätestens seit dem Sprung über den großen Teich kräftig zugelegt und wird im Moment mit ca. 100 Mio. $ bewertet. Trotz oder gerade wegen der Verknappung. Das Kapital sind wie immer Daten.
Wozu?
Wer Clubhouse als private und semi-professionelle Austausch-Bereicherung erleben kann, kommt voll auf seine Kosten.
Wer Clubhouse für die Erweiterung seiner Reichweite und Sichtbarkeit nutzen möchte und vielleicht sogar Leads und Geschäft darüber generieren möchte, sollte Geduld mitbringen und die Bereitschaft, Clubhouse kennenzulernen und es nicht als LinkedIn-Radio-Insta-TikTok-Podcast Abklatsch zu mißverstehen.
Sicher können offline-Formate der Kanzlei wie das "Corona-Update" für (potentielle) Mandanten oder Experten Roundtable schnell und unkompliziet ins Clubhouse verlagert werden. Formate wie die kostenfreie Rechtsberatung für Bedürftige jedoch wohl eher nicht. Hier wird sich am Anfagn zumindest eine "sowohl-als-auch-Lösung" anbieten.
So erzielt z.B. Sichtbarkeit wie oben beschrieben im Moment nicht in erster Linie die Insider-Community für Influencer sondern die Tatsache, dass man Outsidern sagen kann "I´m IN".
Folgerichtig gab einer der heutigen Samstags-Talks TopSpeakern und Influencern eine Bühne um zu diskutieren: braucht es künftig bei den TopSpeakern (die in der Regel Rampensäue auf der offline Bühne sind) nach den speziellen Technik affinen "online-Speakern" (2020) auch spezielle "Audio-Speaker" (2021) und löst Clubhouse die wenig fantasievoll gedachten online-offline Konferenzen ab, die aus der Not heraus einfach ihre offline-Eventformate irgendwie mit wenig Investment 2020 doch noch online abhalten wollten. Die Speaker Community sagt ja und beschreibt schon überraschend genau, was der erfolgreiche Speaker der Zukunft ist. Das sind die Sternstunden von Clubhouse.
Honoriert Google Beiträge auf Clubhouse? Eher nicht. Schlagwörter und Meta-Description sowie Verlinkungen sind nicht möglich. Gleichzeitig bietet es aber Raum für Fehler, denn nichts ist peinlicher als das 10 Jahre alte youtube - Video für Influencer/Speaker/Experten, was immer noch irgendwo auf Google kursiert.
Wozu als Jurist?
Die politischen Diskussionsrunden zu den Themen des Tages mit den politischen Entscheidern sind inspirierend und ein Fest für jeden engagierten Juristen - ohne durch die Gesichtskontrolle bei ARD und ZDF zu müssen.
Die offenen Diskussionen zur wirtschaftlichen Situation vor allem auch im internationalen Kontext, von Startups, Investoren, Experten, Mangern und Journalisten sind für den juristischen Alltag mindestens hilfreich, um aktuell Mandanten optimal beraten zu können - können bei aktiverem und zeitlich intensiven Einsatz zu Profilierung und schließlich zu Sichtbarkeit und Geschäft führen.
Die engagierte Beteiligung von Juristen aus sehr unterschiedlichen Bereichen und mit verschiedenen Hintergründen kann Clubhouse zu einem "Besseren Platz" machen, wenn wir genug Zivilcourage besitzen und mit unserer Kernkompetenz Kommunikation forsche Mitbürger direkt verbal einbremsen.
Die erste Übung dazu fand am Mittwoch statt, als eine rechte Influencerin und ein Journalist sich einen Schlagabtausch zum Thema "Lügenpresse" lieferten, sogleich Mitschnitte der Diskussion auf Facebook und Twitter erschienen und das Ganze letztendlich mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung auf Widerruf endete, wie die FAZ am 23.01.2021 berichtete.
Dreht sich die Welt der Kanzleien und Juristen auch ohne Clubhouse weiter? Ja.
Doch wenn man über (berechtigte) Zweifel an Datenschutz und Geschäftsmodell hinwegsieht und sich ausnahmesweise mal einfach auf eine neue Spíelwiese einlassen kann - dann erhöht es zumindest am Anfang den täglichen Spaß- und Gamifikationfaktor ungemein.
Fazit:
CLUBHOUSE is´ geil. Und kann neben "42" eine mögliche perfekte Antwort auf "Lockdown" sein.
Die Tagesschau zieht am 23.01.2021 nach einer Woche Clubhouse in Deutschland Bilanz: Neue Plattform Clubhouse ist Sprechstunde mit Stil. Den Beitrag finden Sie hier.
Der Tagesspiegel ortet am 22.01.2021 trotz großer Bedenken beim Datenschutz den Hype um die Audio-App als Geheimwaffe für Spitzenpolitiker im Superwahljahr. Den Beitrag finden Sie hier.
Die FAZ berichtet über die gerichtliche Auseinandersetzung auf Widerruf am 23.01.2021. Den Beitrag finden Sie hier.
Mehr zu den Themen Personal Branding und Marketing finden Sie hier.